StageCat: Du lebst als Niederbayer mit Frau und Sohn in Berlin. Wann hat es dich in die Hauptstadt verschlagen und was war der Grund zur Entscheidung für die Wahlheimat?
Berni Mayer: Ich bin 2003 ins Exil. Ich hab noch einen mörderisch heißen und intensiven Sommer in München mitgenommen und bin dann im Herbst nach Berlin. Ich habe München sehr geschätzt, insbesondere die Tatsache, dass man dort ein bisschen gegen die ganze Schöner-leben-Gesellschaft querulieren und gleichzeitig selbst schöner leben konnte, aber schließlich wollte ich endlich mal weg aus Bayern wegen Tellerrand-Bedenken und so. Ich mochte das Unfertige, das herausfordernd Triste an Berlin und bin auch mit Vorsatz ohne Job dorthin. Ich habe wirklich so eine primitive Selbsterfindungswut gespürt, so einen Zwang, den vorgesehenen Karriereweg in der Medienbranche zu sabotieren. Das bedeutete: eine WG suchen, eine Band gründen, in der Kneipe arbeiten und sich mindestens ein Jahr lang von Gin Tonic, Döner und Paracetamol zu ernähren.
SC: Gibt es etwas, das du in Berlin vermisst und was weißt du besonders zu schätzen? Wie hat sich dein Blick auf deine Wurzeln verändert?
BM: Ich vermisse das Wir-Gefühl der Bayern. Damit meine ich nicht das stumpfe „Mia san mia“, denn das ist der Ausspruch von himmelschreiend verscheuklappten Ignoranten, die sich einbilden, die ganze Welt beneidet sie. Ich meine das echte Wir-Gefühl, den unelitären Blick auf das Wohl und die Stimmung der Gesamtheit. In Berlin kehrt man dagegen nur vor der eigenen Haustür, was aber wiederum den Vorteil hat, dass sich kein Arsch für meine Belange interessiert, weil sie ihn auch einen Scheißdreck angehen. Mir ist vollkommen klar, dass das eine schizophrene Einstellung ist – in Ruhe gelassen werden wollen, aber andererseits sanft im Wir-Gefühl herumwabern. Und natürlich bin ich in Berlin erst richtig zum Bayern geworden. Im meiner Jugend war mir der Freistaat oft ein bisschen peinlich wegen der CSU, der vielen Polizisten, der Republikaner und der Trachten. Erst seit der Übersiedlung und aus der Ferne erlaube ich mir den Luxus die Heimat zu verklären.
SC: Im dritten und abschließenden Teil deiner Mandel-Krimireihe, Der große Mandel, der im April bei Heyne Hardcore erscheint, lässt du deine Protagonisten einen wahren Höllenritt durch deren bayerische Heimat unternehmen. Dein Ich-Erzähler Sigi Singer schwankt zwischen Ablehnung des anzutreffenden Provinzmiefs und einer melancholisch gefärbten Suche nach Geborgenheit in der eigenen Herkunft. Ist für dich eine geographische Rückkehr in die alte Heimat in Zukunft denkbar?
BM: Theoretisch ist eine Rückkehr natürlich denkbar und ich kokettiere in meinem Freundeskreis damit, seit ich im Jahre 2003 in Berlin aus dem Umzugswagen gestiegen bin. Ich könnte mir gut vorstellen, wie Franz Xaver Kroetz im Wolljäckchen mit Pfeife vor meinem Holzhaus zu sitzen und auf ein grünes weites Nichts zu schauen und einen irischen Whiskey zu trinken, bevor ich mich wieder an mein Manuskript setze. In Wahrheit werde ich Berlin aber wahrscheinlich nie mehr verlassen. Meine Frau ist Berlinerin und das sehr gerne, und unser Kind ist ja auch ein Berliner, wenn ich es mir genau überlege. Außerdem gefalle ich mir auch ganz gut in der Rolle der grantelnden bayerischen Minderheit mitten in Preußen. Solange der Bub kein Hertha-Fan wird, kann ich hier meine Weltverneinung noch ein paar Jahrzehnte aussitzen, bevor sie mich im Straubinger Gäuboden eingraben. Und wer weiß, vielleicht wäre ein Rückkehr nach Niederbayern gar kein Kroetz-Erlebnis, sondern ein ähnlicher Höllentrip wie der vom Kollegen Singer.
SC: Die Helden deiner Krimi-Trilogie weisen einige Parallelen zu deiner Vita auf. So waren die beiden Verlegenheits-Privatdetektive Singer und Mandel lange im Musikbusiness als Journalisten unterwegs. Du hast als Chefredakteur Online für MTV und Viva gearbeitet. Im ersten Teil deiner Trilogie lässt du deinen Ich-Erzähler über seine Zeit in der Musikbranche berichten: „Gott, war ich froh, dass das Alles vorbei war. Glücklich war ich, dass ich nicht mehr den ganzen Tag gezwungen war, Musik zu hören und darüber zu schreiben[…].Am Ende habe ich mich für meinen Beruf fast geschämt.“ Wie hast du deine Zeit beim Musikfernsehen erlebt und wie denkst du heute über das Ende dieses beruflichen Lebensabschnitts?
BM: MTV und VIVA war keine Zeit, die sich über einen Kamm scheren lässt. Schon alleine, weil ich erst drei Jahre in München für MTV gearbeitet habe und später nach einer Pause von fast vier Jahren nochmals in Berlin. Das waren gravierend unterschiedliche Abschnitte. 2000 – 2003 war mein Arbeitsplatz bei MTV Online im Grunde Pionierarbeit. Keiner wusste genau, was man im Musikbereich online so macht. Es war nicht immer alles so cool, wie der handelsübliche Musikfernseh-Mitarbeiter immer tat, es war auch oft prätentiös und selbstgefällig, aber es gab einen Zusammenhalt und man konnte ein bisschen stolz drauf sein, Musik und Internet jeden Tag ein bisschen mehr miteinander zu verheiraten. Als ich 2007 als Chefredakteur zu MTV in Berlin zurückkam, war der Sender eine ganz andere Bestie. Die Mitarbeiterzahl hatte sich verdreifacht, es war VIVA dazugekommen, es herrschte ein mörderischer Quoten- und Reichweitendruck. Entsprechend wurden in den Abteilungen die Messer gewetzt und eine Politik der Angst betrieben. Zum einen hab ich da erst begriffen, was corporate wirklich bedeutet, und dass ich eigentlich eine Heidenangst vor oberem Management, Geschäftsführung und Powerpoint-Vorträgen habe, zum anderen hatte sich auch der Inhalt schon so weit weg von Musik hin zu Prekariats-Dokus entwickelt, dass ich einfach auch nicht mehr mit gutem Gewissen hätte sagen können, dass ich der kompetenteste Mann für den Job bin. Man administriert ja nur selten gut, was man eigentlich verachtet, Politiker ausgenommen.
SC: Wie verändert sich der Blick auf Musik, wenn man beruflich mit ihr umgeht?
BM: Eigentlich gar nicht. Musik, die einen delektiert, delektiert einen auch weiter und Musik, die einen molestiert, molestiert einen weiter. Der Unterschied vom Otto Normalhörer zum Journalisten ist nur der, dass man als Journalist mit viel mehr Musik konfrontiert wird, die man beschissen findet, während man die als Privatmann in der Regel meidet. Heutzutage gibt es ja auch keinen Musiksender mehr, wo man sich über die Musik aufregen könnte. Man hört nur noch, was man mag. Ich bin nur froh, dass ich mich aus diesem Aktualitätsschraubstock befreien konnte, den der Job in der Musikbranche mit sich bringt. Ich schaue mir jetzt Charts an und kenn kein einziges Lied, das hat etwas ungemein befreiendes und zeitloses. So als wäre die Zeit und der Trend kein Kriterium mehr, als würde ich ewig leben.
SC: In deiner Zeit beim Musikfernsehen hast du die langjährige Freundschaft zu Moderator Markus Kavka begründet, dessen Sidekick du auch vor der Kamera warst. In deiner Mandel-Krimireihe arbeiten sich die Freunde und Kompagnons Sigi Singer und Max Mandel durchaus kontrovers an ihrer Freundschaft ab. Aus „Schreibtischtäter“ Sigi Singer spricht stets eine gewisse Eifersucht auf den Erfolg und die gewinnende Art des Kollegen. Wie hat sich die Fernsehpopularität von Markus Kavka, der auch deine Berliner Buchpremiere unterstützen wird, auf eure Freundschaft ausgewirkt?
BM: Ich ahne, wo die Frage hinzielt und ich beantworte sie aber immer noch gerne. Die Dynamik Singer/Mandel ist aus einem Sketch von Markus und mir für unsere gemeinsame Webserie Kavka vs. The Web entstanden. Das wars, aus, finito, mehr ist da nicht zu holen an Exegese. In besagtem Sketch habe ich mir vorgestellt, der Lakai eines großen väterlichen Detektivfreundes zu sein. Ein selbstgefälliger und indifferenter Hund, nach außen aber der große Strahlemann. Ich selbst kenne Markus Kavka lange, aber längst nicht gut genug, um ihm über meine Romane Charaktereigenschaften unterzujubeln, und selbst wenn, würde ich es aus Respekt nicht tun. Singer und Mandel haben ein Verhältnis, das ich komisch finde, oft schreiend komisch. Es ist eine Beziehung, die sich aus Defiziten auf beiden Seiten speist. Der eine ist ein sublim aggressiver Nöler und selbstherbeigeredeter Underdog, aber dafür ein echter Mensch – der andere ist ein fürchterlicher Ignorant und Egomane, dem die Natur aber die Gabe verliehen hat, alle Menschen für sich zu begeistern, er ist eine lebende Wünschelrute für Erfolg ohne Stress. Man findet solche Konstellationen in beinahe jeder Unterhaltungssparte, ein besonderes Vorbild für mich ist die BBC-Comedy The Mighty Boosh, und davon nicht die hanebüchenen Kulissen und Gags, sondern das vollkommen authentisch gehässige Miteinander zweier bester Freunde. So nah wie Singer und Mandel waren Markus und ich uns auch nie, deshalb fehlt uns auch jegliches Konfliktpotenzial. Wir haben tatsächlich noch kein einziges Mal gestritten. Müsste man Singer und Mandel zwangsdeduzieren, ergäben die beiden Figuren eher mich durch zwei geteilt. Denn so ist es nun einmal: an einem Tag ist man der unzufriedene Adlatus und sich unter Wert verkaufende Defätist, an anderen die Lichtgestalt. Ich schwanke selbst ständig zwischen Mehr- und Minderwertigkeitskomplex. Am Ende sei gesagt, dass ich Markus sehr viel zu verdanken habe. Ohne ihn wäre ich wahrscheinlich kein Schriftsteller geworden. Auch wenn er nicht der Mandel ist.
Der große Mandel von Berni Mayer erscheint am 14.04.2014 bei Heyne Hardcore. Am 15.04.2014 findet im Berliner „Kaffee Burger“ die Buchpremiere mit Musik und Gaststar Markus Kavka statt.