Wir leben bekanntlich in retrograden Zeiten. Was ist in der Popkultur, was noch nicht da gewesen wäre? Wo stoßen wir nicht auf Zitate, wenn nicht gar auf Wiederholungen? Selbst die öffentliche Moral(-vernünftelei) mit ihren Anmaßungen wirkt rückwärtsgewandt. Was Dave Wyndorf, der legendäre Monster-Magnet-Frontmann, zu verpflichtendem Veggie-Day, Gluten-bewusster Ernährung und Rauchverbot sagen würde, kann man sich nur ausmalen. Zustimmen würde er wohl nicht. Mister Wyndorf ist für einen Lebenswandel bekannt, der dem Lemmy Kilmisters an medizinischer Fragwürdigkeit in nichts nachsteht.
Aus unserem Zeitgeist, der sich vergangener Dekaden vor allem als modischer Ikonen bedient, wirkt der frühere Comic-Buch-Verkäufer aus New Jersey herausgefallen. Doch gerade in der Rock-Musik lebt die Vergangenheit als Einflussgröße stets weiter, Traditionen schaffen Innovationen.
Inzwischen gehören Monster Magnet längst zum Kanon der Gegenwart und der Neunziger Jahre, aus denen ihre Musik kommt. Die Mannen um Dave Wyndorf haben mit ihrer eigentümlichen Mischung aus Doom Metal und Psychedelic Rock das Genre des Stonerrock entscheidend geprägt und dienen vielen Bands als Inspirationsquelle.
Seit der Gründung im Jahr 1989 sind viele Monde über den Horizont gegangen. Und viel Alk, H und weiß der Geier noch was den Gang allen Stoffwechsels durch den Körper von Mastermind Dave Wyndorf. Zusammenbrüche, lebensbedrohliche Situationen und Schwierigkeiten, das eigene Leben auf eine belastbare Kette zu kriegen, schaden der Imagebildung im Pop-Business allgemein nicht. Im Rock-Geschäft schon gleich gar nicht. Doch nach 25 Jahren Auf und Abs stellt sich die Frage, ob Monster Magnet nicht nur kanonisch sind, sondern auch zum alten Eisen gehören.
Mit dem Älterwerden ist es ja eine Sache im Rockgeschäft. Als in den Neunzigern Monster Magnet die wohl beste Phase ihrer Laufbahn hatten, nahmen davon kommerziell betrachtet nicht besonders viele Menschen Notiz. Im Kielwasser Nirvanas wurde immerhin der Indie-Rock halbwegs salonfähig. Nirvana und Kurt Cobain lieferten mit dem relativ folgenlosen und kurzlebigen Grunge den späten Soundtrack zur Generation X, mit dem Suizid Cobains und seinem Einzug in den Klub 27 stand 1994 fest, dass Nirvana das Symbol der Neunziger Jahre sein würden. Dave Wyndorf blieb dieser enorme Marketingvorteil erspart, doch besonders 1995 war es ziemlich knapp. Also machte die junge Band mehr oder minder vernebelt weiter, bis sie sich Mitte der Nuller-Jahre derart an den großen Stadion-Rock angebiedert hatten, dass es keine Art mehr hatte. Anschließend kam der Knall und nach erneutem Drogenabsturz ihres Sängers der Verzicht auf alle Hoffnungen eine aufgepumpte Metal-Super-Band zu werden.
Abgesehen von den jung Gestorbenen bleiben vielleicht im Extrem zwei Wege des Altwerdens im Rockbusiness: Die Leonard Cohen-Art, die darin besteht, sich grundsätzlich rar zu machen und zu gegebener Zeit ein wenig neu zu erfinden. Oder die Elvis-in-Vegas-Art, die darauf hinausläuft, das eigene Erbe museal zu verwalten (ein wenig tragisch wird es natürlich, wenn das Bühnenoutfit aus Glühbirnen besteht). Welchen Weg Dave Wyndorf einschlägt, ist noch nicht final raus. Auf dem neuen Album Last Patrol unternimmt die Lederkutte aus Überzeugung einen musikalischen Spaziergang durch den Garten der eigenen Geschichte. Mister Wyndorf blättert in seinem akustischen Erinnerungsalbum und wir dürfen über die Schulter schauen, wenn der Altmeister ein letztes Mal auf Patrouille geht. Die Rückkehr in alte Space-Gefilde gerät wohldosiert und altersmilde, im Vergleich zu den Versuchen der großen Neuerfindung ist dies ein Fortschritt. Die Frage war also, wie sich Psychedelic-Elvis Dave Wyndorf am 27. Januar im Huxleys präsentieren würde. 2010 im Postbahnhof sah Berlin einen Frontmann, der völlig am Ende schien, böse und heiser wie aus weiter Ferne zu schreien schien und immer wieder auf der Bühne zusammen brach. 2011 brillierte Wyndorf auf der Dopes to Infinity-Tour als großer und tragischer Interpret der eigenen alten Stücke, nur um auf der 2012er Spine of God-Tour wieder zu Kräften gekommen den großen Zampano geben zu müssen glaubte, was den Songs des vielleicht besten Monster Magnet-Albums nicht besonders gut tat.
Dass die Glühbirnen auf der Lederkutte leuchten würden, ahnte man schon angesichts der hervorragenden Vorband, bestand diese doch in der japanischen Doom Metal-Combo Church of Misery, die einen dichten, düsteren Soundteppich über die Neue Welt legten und wie eine Mischung aus Black Sabbath und den frühen Monster Magnet auf Äther klangen. Der Gesang ließ zudem an, Gott hab ihn selig, Peter Steele von Type O Negative denken. Es hatte seine Art, wie die die Stonergäste aus Tokyo ihre Songs über Serienmörder zum Besten gaben. Die Auswahl dieser Vorband ließ für den Hauptact Gutes erwarten.
In der Pause bevor es losging verriet mir ein freundlicher Fachmann mit sehr roten Augen, dass Monster Magnet ausschließlich das neue Album plus ein paar Zugaben spielen würden, wir also Zeuge eines klaren Bekenntnisses zu Last Patrol werden würden. So sollte es dann auch geschehen. Monster Magnet kamen angeführt von einem im Vergleich zum Vorjahr wieder deutlich korpulenteren, aber bestens aufgelegten Dave Wyndorf auf die Bühne und legten konsequent mit I Live behind the Clouds, dem ersten Stück des neuen Albums, los. Vom ersten Augenblick waren zwei Dinge klar: Mister Wyndorf war auf der Höhe und versprühte wieder sein unvergleichliches tragisches Charisma, dank dessen die Dopes to Infinity-Tour noch heute als herausragendes Konzerterlebnis erinnert werden darf. Und die Chemie zwischen dem Berliner Publikum und Monster Magnet schlug Funken, die Audienz lag der Band zu Füßen, die kein Geheimnis daraus machte, sehr glücklich zu sein, wieder in der Hauptstadt zu sein.
Die Interpretation gab den Songs des neuen Albums eine ungewöhnlich epische Dimension und verriet, wie stark die Identifikation der Band mit Last Patrol ist. Gegeben wurde das Album selbst bis in die Abfolge der Songs getreu, die musikalische Umsetzung geriet von herausragenden Sound getragen kraftvoll, schwelgerisch und getragen von einem Frontmann, der alle Register seiner suggestiven Verführungskunst ausspielte. Hymnischer Spacerock im Breitbandformat, vorgetragen von einem Käpt‘n Frontmann, der alle Weltmeere befahren, mit alle Seeungeheuern gerungen und nun seinen Seemannsgarn mit unendlicher Überzeugungskraft vortrug. Dave Wyndorf schien in diesen Songs zu leben, jede Geste dieses Schamanen, jede Beschwörung des Publikums, saß und wurde erwidert.
Zu keinem Zeitpunkt verlor sich Mister Wyndorf in den psychedelisch-spacigen Untiefen, allzeit fest im Sattel hatte er der Psychedelic-Bestie Zügel angelegt und ließ sich von diesem Tier als großer Imperator über die Bühne tragen. In dieser Souveränität lag die Antwort auf das Bühnenbild, dass das Logo des Vorgängeralbums Mastermind sehen ließ. Auf den mit Auspuffrohren aufgemotzten Stierkopf hatte man einen muskulösen Oberkörper projiziert, der seine gekreuzigten Klauenhänden gierig ausfuhr. Das kraftstrotzend-bestialische Potential der Band wurde so durch den testamentarisch Weisen, den großen Erblasser, den die Mastermind vorstellte, beherrscht. Und selbstverständlich hatte Dave Wyndorf auch seine Commander-Geste wieder im Repertoire, drehte dem Publikum regelmäßig den Rücken zu und ging an sein Kapitänspult, um an den Rädern der Macht zu drehen, während Garret Sweeney und vor allem Anpeitscher Phil Caivano an den Gitarren einheizten. Das Wechselspiel zwischen Dave Wyndorf und Caivano funktioniert inzwischen blind und die Gitarrensoli Caivanos stehen Monster Magnet als Stoner-Metal-Band ausgezeichnet.
Die Gitarrenkaskaden wurden dick und fett zelebriert, stürzten jedoch nicht mehr in sich zusammen wie zu Superjudge-Zeiten. Diese Band weiß genau, wo sie steht. Und dass dieser Ort neben der ohnehin bekannten vollendeten Meisterschaft als Live-Band nicht nur eine Retrospektive, sondern womöglich der Aufbruch zu neuen Ufern ist, wurde zunehmend klarer. Denn wer Dave Wyndorf in dieser lustvollen-diabolischen Art hat „No more Mountains to climb“ singen hören, der konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass er Zeuge eines sardonischen Lachens geworden ist: Das Bedauern darüber, am Ende einer weiten Reise angekommen zu sein, wurde derart genüsslich intoniert, dass man sich nur zu gut vorstellen konnte, dass diese Band eben doch noch Einiges vorhaben dürfte. Als vorletztes Lied des regulären Sets wurde End of Time in opernhafter Breite ausgewalzt, die an die gute alte Zeit der Spine of God und besonders den Song Nod Scene denken ließ. „I’ll satisfy my soul on the other side“ – dieses Bekenntnis stellte angesichts der großen Stärke, die Käpt’n Lederkutte ausstrahlte, weniger den Tod als das Ende dar, sondern ließ hoffen, dass diese andere Seite vielleicht ganz konkret in der Gegenwart, oder sagen wir besser Retro-Zukunft, dieser Band liegen könnte.
Stay tuned, womöglich der Schlüsselsong des neuen Albums, beschloss das reguläre Set und verkündete die Botschaft bereits im Titel. Bleibt dran, Freunde des Stonerrock, Monster Magnet lebt. Ekstatische Menschen wurden auf Händen getragen, Bier flog im hohen Bogen durch die Gegend und das Publikum johlte sich noch die Seele aus dem Leib, als die Band bereits von der Bühne verschwunden war. Die Audienz forderte frenetisch Zugabe und bekam in Form von Look To Your Orb For The Warning ein großes Erinnerungspanorama präsentiert, wunderschön wirkte diese Umarmung der Vergangenheit im Bild des einsamen Mannes am Fluss, der auf sein Raumschiff wartet. Als letzter Song wurde mit Spacelord der größte Hit und auch einer der überschätztesten Songs der Band gegeben, doch wer das Publikum hat ausflippen und dem Commander hat aus der Hand fressen sehen, der kann darüber nicht grollen.
Berlin erlebte einen großen Abend der Stoner-Kultur, einen aufs Beste zu sich gekommenen Dave Wyndorf und konnte sich glücklich schätzen, eine der besten Live-Bands der Welt in Hochform gesehen zu haben. Ein phantasmagorisches Kopfkino, dessen Bilder nachhallten und ein beseeltes Publikum in die Nacht entließen. Einzig der seit Ende 2013 neu von Atomic Bitchwax zur Combo gestoßene Bassist Chris Kosnik blieb befremdlich farblos und wurde von bösen Zungen sogar als Bielefelder bezeichnet. Doch: Was soll‘s? Wir sehen uns auf der anderen Seite, stay tuned! Psychedelic-Elvis wirft nochmals den Motor an, das war nicht der letzte Patrouillengang.