Liebe Leser,
es fehlt an einer angemessenen Berichterstattung über die sogenannte Krim-Krise. Es wird beklagt, dass sich politisch ein Szenario kalten Krieges entwickeln würde. Man appelliert an die kollektive Erinnerung des Kalten Krieges und setzt diese publizistische Vermittlung mit dem Zustand in eins. Das ist nicht nur extrem unkritisch, sofern darunter eine ergebnisoffene Auseinandersetzung mit sich selbst im Mindesten zu verstehen ist, sondern gehorcht selbst der Logik des Kalten Krieges. Wenn man in den Methoden, die man anwendet, dem vermeintlichen eigenen Ziel, in unserem Fall eine Abkehr von der Logik des Kalten Kriegs, performativ widerspricht, dann muss man entweder von enormer historischer Blindheit ausgehen oder von Propaganda sprechen.
Die Blume des Journalismus – mehr als eine Stilblüte?
Nun hat sich gewiss die politische Berichterstattung in den öffentlich-rechtlichen Medien durch die Einführung einer gesetzlichen Zwangsabgabe nicht unbedingt verbessert, doch muss die Frage nach dem aufklärerischen Anspruch der Anstalt formuliert werden. Die Rede ist vor Allem von den großen Flagschiffen der Fernsehinformation, dem Heute Journal, den Tagesthemen und auch der Tagessschau. Insbesondere das ZDF produziert, auch in der Kooperation mit 3sat, eine Reihe sehr guter Magazine und Reportagen, die hier ausdrücklich ausgenommen werden müssen.
Hasst Marietta Slomka Wladimir Putin?
In der Masseninformation erleben wir eine klare Zeichnung des Konfliktes, die eindeutig und nicht einmal subtil formuliert moralisch geprägt ist: Wladimir Putin, die Figur wird in eindeutiger Art als Aggressor gezeichnet, dient als Katalysator, um eine Angst vor der russischen Nation zu schüren, die bei uns spätestens seit dem Überfall auf Russland und der Lage West-Berlins im Ostblock vorhanden ist. Marietta Slomka scheint Putin regelrecht zu hassen! Diese Haltung der vierten Gewalt führt de Facto zu einer Apologie der Politik Angelas Merkels, um nicht das entlarvende Wort „Mutti“ zu benutzen: Ihr bündnistreuer USA-Kurs wird, um auf „Muttis“ Wortschatz zurückzugreifen, als „alternativlos“ nicht mal hingestellt, sondern vielmehr als solcher in der Sache überhaupt nicht der Diskussion für würdig befunden.
Eines ist klar: Es kann uns nicht darum gehen, darauf hinzuweisen, dass sich unsere politisch Richtlinienkompetente entschlossen hat, die erstbeste Gelegenheit außenpolitische Gelegenheit zu nutzen, ihre verlegen geäußerte und überhaupt nur widerwillige Empörung über den Spionageskandal, in der Tat beizulegen. Man könnte schon eher, gerade als Kulturunternehmen das an Bücher glaubt, über die vermeintlichen Segnungen des Freihandelsabkommens reden, doch es soll nur um Eines gehen: Merkel, von der man weiß, dass sie Machtpolitikerin ist, interpretiert die sogenannte Krim-Krise ausschließlich entlang des eigenen taktischen außenpolitischen Kalküls. Mal abgesehen davon, dass man spekulieren kann, ob das weltmachtpolitische Kalkül der Dame aufgehen wird, ist zu fragen, ob die Wahrnehmung des Konfliktes angemessen ist. Soweit wären wir bei der institutionalisierten Politik. Doch wenn der Eindruck nicht trügt, dass die öffentliche Berichterstattung zum größten Teil diese Wahrnehmung der Situation bestätigt, dann haben wir eine journalistische Krise. Neben der Krim-Krise, um zu scherzen.
Können Krim-Krisen-Kalauer kritsche Konklusionen konstruieren?
Kritischer Journalismus hat die Arbeit mit Wahrnehmung für und an sich zur wesentlichen Aufgabe, Scheinjournalismus mag sich mit der Arbeit für Wahrnehmung begnügen. Ob die Krim-Krise ausschließlich in einer militärischen Invasion Russlands besteht, ist die Frage. Aus Sicht des Völkerrechts – ein lernender Katalog, der nicht mit Gerechtigkeit für Menschen notwendig identisch sein kann – und als jemand, der nationale Grenzlinien als absolute Gegebenheiten der Geschichte nimmt, ist diese Beschreibung der russischen Vorgehensweise völlig statthaft. Doch es wird vergessen, dass die Ukraine ein sehr junger souveräner Staat ist, der mehrere verheerende militärische Niederlagen gegen Russland erfahren hat und von dem großen Nachbarn im Osten erst in die Unabhängigkeit im Sowjetsystem entlassen wurde. Und die Krim in einer Geste der, man muss es im Nachhinein so nennen, Gönnerhaftigkeit Chruschtschows, womit der unangemessene Anspruch auf Überfluss gemeint ist, zugesprochen bekommen hat. Daraus kann alles Mögliche folgen, und eben auch das, was geschieht.
Putins Russland steckt in einer Wirtschaftskrise, ebenso wie die gesamte EU. Wenn in dieser Situation ein wirtschaftliches Buhlen um die Mittelnation Ukraine entsteht, die mit ihrer geografischen Lage nicht viel Freude hat, wird Russland die eigenen Interessen deutlich machen müssen. Wenn dies noch mit einer – zumindest dem Anschein nach – basisdemokratischen Entscheidung legitimiert wird, dann ist eine Wahrnehmung des Phänomens auch auf ukrainischer Seite als auf innenpolitisch komplexer Lage basierend, angezeigt. Die Ukraine kämpft nicht bloß um Freiheit, wie immer genau dieser seit der militärischen Niederlage im Zweiten Weltkrieg in Deutschland ausgenudelte Begriff auch aufgefasst werden mag, sondern um einen nationalen Kurs. Und in der Situation, in der eine politische Situation entsteht, in der es ein Zerren oder Buhlen um die Ukraine von West oder Ost gibt, wird die Geschichte der Ukraine aggressiv denkenden Nationalisten in die Karten spielen. Bereits in der inthronisierten Übergangsregierung finden sich fragwürdige Konstellationen. Da hilft es nicht, sich im Deutschland- oder Stars and Stripes-Schlüpfer vor die Glotze zu setzen und einen Boxkampf „unseres“ Wladimir Klitschko, Dr. K.O. und so, und Wladimir Putin herbeizuphantasieren.
Klar ist es leicht Putin, der ein ekelhafter Typ und grauenhafter Chauvinist, wo nichts Schlimmeres ist, abzulehnen. Doch wer es dabei als Medium mit einem Bildungsauftrag belässt, der enttäuscht die Erwartungen der anspruchsvollen Leser. Uns als privatwirtschaftliche Unterhaltungsseite kann es nicht darum gehen, eine Abkehr von der gegenwärtigen Politik zu fordern oder diese überhaupt zum Thema zu machen – dazu: kein Wort – doch die Berichterstattung im öffentlich-rechtlichen Rundfunk werden wir wohl noch kritisieren dürfen. Wir konzentrieren uns auf unsere Themen und treiben keine Zwangsgelder ein, noch nehmen Einfluss auf ihre politische Gewissensbildung. Alles aus Kunst. Nämlich in ihrem Sinne,
Ihr Stagecat.de-Team