Die junge Musikerin Linda Carlsson stammt aus dem legendären Provinzkaff Borlänge, das bereits Bands wie Mando Diao und Sugarplum Fairy hervorgebracht hat. Inzwischen darf sich die Dalarnische Gemeinde einer weiteren Prominenz erfreuen. Denn besser bekannt ist Linda Carlsson als Miss Li, unter welchem Künstlernamen die Schwedin seit ihrem Debüt Late Night Heartbroken Blues im Jahr 2006 putzmunter ein Album nach dem anderen herausbringt. An kreativem Antrieb scheint es der exaltierten Musikerin nicht zu fehlen. Dafür spricht nicht allein die Menge ihres musikalischen Outputs. In Miss Lis Musik verbinden sich Einflussgrößen des Jazz, Blues, Country und gelegentlich sphärische Space-Elemente mühelos zu einem breit orchestrierten Indie-Pop, der herzerfrischend durch Ohr und Bauch rumpelt und um Konventionen nur weiß, um sich um diese nicht weiter zu bekümmern.
Diese von ihrem kongenialen Gitarristen, Arrangeur und Co-Songwriter Sonny Boy Gustafsson rhythmisch zubereitete musikalische Melange bietet den perfekt sitzenden Rahmen, innerhalb dessen Miss Li ihre spezielle Art zu singen voll ausleben kann. Ihr vielleicht als Punk-Cabaret zu bezeichnender Gesang ist mal schwelgend, mal frech, aber immer pointiert und enorm aufdringlich, im besten Sinne des Wortes. Alternative Musik mit Pop-Appeal kommt dabei heraus, ernst zu nehmend und ambitioniert, dabei unmittelbar lustig.
In Schweden längst ein Star erfreut sich Miss Li hierzulande einer zwar eingeschworenen aber noch kleinen und eingeweihten Fangemeinde. Vor dem Hintergrund ihrer rasch verdienten Meriten als tatsächlich originelle Künstlerin mochten Zweifel am Erhalt von Miss Lis Independent-Charme aufziehen, als in Folge des Labelwechsels der Künstlerin zu Starwatch Entertainment, Tochter der Pro7Sat.1 Medi AG und Epic, der Song My Heart goes Boom vom neuen Album Tangerine Dream für Fernsehwerbung verbraten wurde und die Künstlerin bei Heidi Klums bekannter Model-Casting-Quatschsendung auftrat.
Glücklicherweise zerstreut Tangerine Dream diese Bedenken schnell und mit verspieltem Elan. Der skandinavisch-schrullige Blick Miss Lis verrät genügend ironische Distanz, um sich auch über das Selbstmarketing lustig zu machen. „This thing called modern generation/Is born from a life of constant log-in/ Yes im so tired of opinions/And all the shadow agitation/I called the local weather station/It’s raining bullshit through the nation“, singt Miss Li im Song Plastic Faces zu treibendem Schlagzeugbeat und rhythmisch gehacktem Piano – wer will da noch argwöhnen? Songs wie Golden Retriever und My Heart goes Boom gehören zu der seltenen Art unmittelbar implantierter Ohrwürmer, die keinesfalls nerven. Die selbstbewusste und unmittelbare Attitüde Frau Carlssons wirkt ansteckend und verfügt über eine angenehme Ihr-könnt-mich-Note. Am Ende macht Miss Li einfach ihr Ding und der geneigte Hörer wippt mit den Füßen und denkt: Recht so.
Mit neuem Album und überkandidelt-verschrobenem Charme im Gepäck bespielte Miss Li den ausverkauften Frannz Club in der Kulturbrauerei. Angesichts der Anreise durch das herbstlich-graue Berlin ließ sich eine gewisse Vorfreude auf eine Prise weiblichen Ass-Kickin‘-Pops nicht unterdrücken. Miss Li präsentierte sich den Besuchern samt fünfköpfigem Orchester in Bestform. Die gute Laune der Künstlerin und des gesamten Ensembles übertrug sich auf die Audienz.
Im bodenlangen Poncho mit Schachbrettmuster gab Miss Li ein bewegungsfreudiges Schlossgespenst mit Freude an Kontrasten. Gemeinsam mit ihrem musikalischen Co-Genie Sonny Boy Gustafsson, der mit Lederschlapphut und abgetragener Weste eine Art schwedisch-swingende Rock’n’Roll-Vogelscheuche darstellte, vertrieb sie alle Herbstgedanken. Im begeisterten Publikum gab es kaum jemanden, der die Füße still halten konnte.
Musikalisch präsentierte sich Miss Li äußerst abwechslungsreich und spielfreudig. Die Auswahl der Stücke erstreckte sich auf die gesamte Diskografie, die Songs wurden als jazzige Blues- und Rock’n’Cabaretnummern in bester Indie-Manier gegeben. Zwischen den Songs herrschte reges Kommen und Gehen der Roadies, die allerlei Instrumente auf- und abtrugen. Neben der Violine, Schlagzeug und Percussions kamen Synthesizer, Tamborine, Kontrabass und Piano zum Einsatz. In der Interpretation der Stücke zeigte sich das Ensemble sehr frei und in bester Improvisationsfreude einer hervorragenden Live-Band. Oh Boy, Singleauskopplung des Debüt-Albums, kam im frannz als rauchig-schmachtende Blues-Ballade daher, den aktuellen Hit My Heart goes Boom, der für die frenetisch geforderte Zugabe aufgehoben worden war, gab Miss Li als groovende Rockabilly-Nummer inklusive beeindruckenden Schlagzeug-Solos. Schließlich kamen die Besucher in den Genuss zweier Stücke des noch neueren Albums Wolves, die, da bisher einzig in Schweden released, zwei kleine Überraschungen am Vorabend des ersten Advent darstellten.
Berlin sah eine bestens aufgelegte Miss Li, die mit Spielfreude, sympathischer Präsenz und Spaß am Bühnen-Punk das Publikum zu Begeisterungsstürmen hinriss. In der Ankündigung des Songs Plastic Faces erklärte die Musikerin achselzuckend, sie sei Sängerin, mache Werbung, style ihr Haar und trage Lippenstift, somit sei sie Teil der Plastikwelt, die ihn uns alle umgibt. Also warum sich nicht musikalisch drüber lustig machen? Solange Miss Li weiterhin derart erfrischende und unkommerzielle Musik macht, seien ihr die gelegentlichen Ausflüge in die Plastikwelt gestattet. Live ist sie eine mitreißende Vollblutmusikerin, eine wie von der Kette gelassene weibliche Rock’n’Roll-Rakete. Im Publikum hat keena jequatscht – sehr ungewöhnlich für Berlin.