Wer sich die Stationen der künstlerischen Laufbahn Matthias Ernsts, der unter seinem Pseudonym Max Goldt spätestens seit der Auszeichnung mit dem Kleist-Preis im Jahr 2008 einer breiten Öffentlichkeit als Schriftsteller bekannt ist, vergegenwärtigt, kann sich nur schwerlich des Eindrucks erwehren, dessen Entwicklung zu einem gefeierten und von Kritik und Publikum gleichermaßen geschätzten Literaten verdanke sich dem Kontext eines vergangenen kulturellen Klimas.
Als junger Mann in den späten Siebziger-Jahren nach West-Berlin gekommen und sich rasch einer Fotografenausbildung entledigt gründete Goldt zusammen mit Gerd Pasemann das avantgardistische Musikprojekt Foyer des Arts. In der Folgezeit hatten die Musiker mit den unangenehmen Konsequenzen der Verortung ihrer Musik im Spektrum der Neuen Deutschen Welle zu kämpfen, welche einen leichtfertig unterschriebenen Vertrag mit der deutschen Warner-Tochter WEA und gezwungenermaßen Auftritte wie in der ZDF-Hitparade mit sich brachte.
Ein Künstlerleben auf dem schmalen Grat zwischen Pop und Avantgarde
Nach dem Ende dieser Schaffensphase verlegte sich Goldt zunehmend aufs Schreiben und wurde durch das westdeutsche Flaggschiff kritischer Satire als Kolumnist entdeckt: Die Titanic engagierte Max Goldt, nachdem dieser in der kleinen unabhängigen Zeitschrift Ich und mein Staubsauger durch Talent auffällig geworden war. Was man heute nicht mehr für möglich halten mag und doch dem Goldtschen Kosmos allzeit entnehmen kann, ist, dass es eine Verbindung kritischer Kunst und popkultureller Sujets und Äußerungsformen geben kann. Dieser heute schwer fasslichen Konstellation entstammt womöglich der von Goldt anlässlich der Kleist-Preisverleihung karikierte Irrtum, er sei als Künstler zuvorderst Alltagsbeobachter. Es wäre wohl böse, dahinter eine unbewusste Absicht zur Relativierung zu vermuten, doch ein kritischer und intelligenter Schriftsteller, der mit Humor auch großen Publikumsanklang findet, ist womöglich ohne wohlfeile Etikettierung etwas unheimlich. Es könnte am Ende eine unabweisbare Qualität Goldtschen Schreibens selbst sein, die seinen geglückten Übergang aus der Independent-Kultur auf die großen Bühnen bedingt: Was die Texte Max Goldts allzeit kennzeichnet ist eine unprätentiöse Höflichkeit, die gar imstande ist, Polemisches als genießbare Notwendigkeit einer geistreichen Schmährede auszuweisen.
In Bezug auf den, in den letzten Jahren zur unrühmlichen Mode gewordenen, Begriff „Alltag“ leistet Max Goldt wertvolle Dekonstruktionsarbeit. Die Denkfaulheit, die sich hinter der Normativität der Massenkultur versteckt, die geistige Lage Normalnull, ist sein ehrenwertes Angriffsziel. Ganz der Aufklärung der Aufklärung verpflichtet führt er „Realität“ und das dafürgehaltene als Resultat sprachlicher Konstruktionen und Ungenauigkeit vor. Die Lektüre Max Goldts macht bewusst, wie viel gerade mit beiläufigen Worten getan wird, häufig im Unguten.
Humoristische Literatur im Zeichen konstruktiver Sprachkritik
Dieser seiner schriftstellerischen Tradition bleibt Max Goldt auch in seinem neuen Werk treu: Die bei Rowohlt Berlin erschienene Prosa-Sammlung Die Chefin verzichtet liest sich als eine genüsslich auf den Flüssen des Assoziativen kreuzende Sammlung gedankenvoller Stücke zu gesellschaftlichen und privaten Umgangsformen – insbesondere im Umgang mit Sprache und Denken. Die Grenzen der Textgattungen werden munter erweitert und überschritten: Anekdotisches mischt sich mit Reflexionen, Kurzgeschichten und Gedankensplittern, es entstehen frei flottierende Textcollagen, die zusammen das Bild einer gelungenen, humorvollen und freigeistigen Konversation ergeben.
Max Goldts Leser ist zu teilnehmender Lektüre eingeladen. Seine Denkbilder zu erwägen und seinen gedanklichen Sprüngen zu folgen bewirkt ein selten deutliches Gefühl der Mündigkeit. Dies ist emanzipatives Schreiben, feuilletonistische Literatur im besten Sinn. Wenn es der Gegenstand geboten erscheinen lässt, wird ein deutliches Wort nicht gescheut. In einem Text, der den Zusammenhang des euphemistischem Missbrauchs bürgerlicher Wertbegriffe und rücksichtsloser Selbstermächtigung auf gesellschaftlichem Terrain thematisiert, heißt es beispielhaft messerscharf: „Daß Inspiration heute nichts als ein vulgäres Glamour-Synonym für einen manchmal bloß vom Computer generierten Shopping-Vorschlag geworden ist, verdanken wir unserem heikelsten Kulturvorbild, den US-Amerikanern.“
Wer jedoch vermutet, hier fände eine Selbstinszenierung als Kämpfer gegen vermeintliche Denk-Tabus statt, der irrt: Max Goldts Prosa bleibt stets dem aufklärerischen Diskurs verpflichtet, im Dienste der kritischen Sache werden die versteckten Sprachregeln massenmedial vergröberter Kommunikation offengelegt und gekonnt persifliert.
Was Goldt über die Berliner Buddy-Bären schreibt, könnte auch auf eine mediale Praxis gemünzt sein, die auf immergleiche Weise die nächste Sensation, den nächsten Skandal beschwört, „denn sie verbreiten ein Bild der Armseligkeit, Phantasielosigkeit und Monotonie.“ Gegen Ende des Buches Die Chefin verzichtet bringt Max Goldt sein künstlerisches Credo auf den Punkt: „Mangelnde Sprachlogik ist keine stilistische und ästhetische Frage, sondern eine Folge schlechten und schlampigen Denkens, die den Kommunikationswert von Sprache vermindert“. Daran, dass es an einer Verbesserung des Denkens nicht scheitern möge, arbeitet Max Goldt mit seiner Sprache. Der Schriftsteller präsentiert sich auf der Höhe seines Schaffens und im Hinblick auf die verstärkte essayistische Deutlichkeit seiner Prosa als gereift, ohne dass es der Freude an der experimentellen Anordnung ermangle.
Bibliographische Angaben:
Max Goldt: Die Chefin verzichtet
Rowohlt Berlin (Berlin) 2012, 160 S.
17,95 €
ISBN 978-3-87134-751-1