Im altehrwürdigen und ausverkauften Berliner Ensemble fand die Buchpremiere des Schriftstellers, Moralisten und Ästheten Max Goldt statt. Der Wahl-Berliner Goldt stand damit an diesem warmen, spätsommerlichen Abend des 26. September 2012 auf jener Bühne, auf welcher ihm die größte literarische Ehrung, der Kleist-Preis verliehen worden war. Vorgestellt wurde sein neues Buch Die Chefin verzichtet, flankiert wurden die Texte des neuen Titels von einigen älteren Stücken, welche Max Goldt allesamt, von sparsamer und schelmischer Moderation begleitet, in typisch abwägender und walzender Manier vorgetragen wurden.
Unprätentiöser Gentleman mit spitzbübischem Charme auf der Bühne
Max Goldt eröffnete mit dem wegen der Länge für eine Lesung, wie er bedauernd vorauszuschicken sich bemüßigte, leider ungeeigneten Titelstück. Nach diesem längeren Opener, der das Publikum einzunehmen und gelungen auf die erforderliche Geduld zum Genuss der Goldtschen Texte einzustimmen wusste, gab der Literat das Stück Der schlimme Schal aus dem 1994 veröffentlichten Buch Für Nächte am offenen Fenster zum Besten, welches für Gelächter und Auflockerung sorgte. Folgen ließ er vor der Pause, in die schließlich gut gelaunte und angeregte Gäste strömten, Die 24-Stunden-Diät und Weltanschauung in der Seilbahn.
Auch der Vortragende präsentierte sich nach der Unterbrechung launig und ließ das Auditorium an den Schwierigkeiten eines guten Vortrags teilhaben, wenn der Mundraum durch Pfefferminzbonbons, die Goldt wie stets reichlich verzehrte, eingeengt ist. Eröffnet wurde durch eine erstmalig erprobte gekürzte und doch etwas lange Version der Textcollage Blumenkübel vor dem Eingang böser Krankenkassen. Ein für den Vortrag bedingt geeigenter Text, da sich Collagiertes nicht für lineare Lektüre anbietet. Max Goldt forcierte beim nächsten Stück Ich hatte – verzeihen Sie! – nie darum gebeten im Schatten einer Stinkmorchel Mandoline zu spielen den Vortrag und wußte das gewogene Publikum mitzunehmen. Was schön ist und was häßlich ist , der Schlußtext des 2007er Titels QQ , beschloß den regulären Teil. Diesen Text, der Goldtschen Fähigkeit zum sprachlichen Einkreisen, zur Verbindung und argumentativen Bewertung ästehtischer Phänomene wunderbar entsprechend, trug die Performance des Autors und das Auditorium zum krönenden Finale des Abends. Geschwind zur Zugabe schreitend verriet Max Goldt mit dem Dialog Juliette Greco einen persönlichen Liebslingstext zum Besten zu geben. Eine gute Wahl, die das Publikum zu schätzen wusste und welche einen nette Pointe zum Abschluß transportierte. Endet dieser literarische Dialog zwischen einer Frau und einem ihr fremden Mann über die jeweils eigene Vergeblichkeit schließlich mit dem Entschluß des Mannes, statt die zur völligen Routine verkommene Männerrunde in der Stammkneipe zu besuchen, mit Friedhofsgärtnern Bier zu trinken. Seine Einsicht, dass die vermeintlichen Freunde ohnehin nicht bemerkten, wenn er nicht zugegen wäre, bestätigt die Dame mit den knappen Worten: „Das glaube ich auch.“ Und ab.
Humoristische Prosa ohne selbstzweckhafte Witzigkeit
Im Sinne der titelgebenden „Chefin“, die auf „demonstratives Frösteln“ verzichtet, metaphorisch Haltung bewahrt, soll in diesem Artikel über den Goldtschen Humor ein relatives Schweigen gewahrt bleiben. Dieser wurde und wird oft und zurecht gerühmt, erwähnt sei jedoch, dass bei Goldt das vordergründig Witzige diesem subtilen Humor stets unterliegt. Goldts Literatur ist stets amüsant, jedoch sehr selten im komödiantischen Sinne auf Lustigkeit aus. Dass bei Lesungen Max Goldts dennoch an bezeichnenden Stellen gelacht wird, kann als Indiz für eine fragwürdige Pointengläubigkeit, eine Sehnsucht nach der Katharsis des Konsumenten, herhalten, doch wer würde angesichts einer so heiteren abendlichen Lesung im Berliner Ensemble davon sprechen mögen?