Nach „Neulich in Neukölln“ aus dem Jahre 2008 legt Uli Hannemann, seines Zeichens Mitglied der Berliner Lesebühnen „LSD – Liebe statt Drogen“ und „Reformbühne Heim & Welt“, mit „Neulich im Taxi“ kein ganzes Jahr später bereits sein zweites Kurzgeschichtenbuch nach. Nicht zufällig legt der Titel den Verdacht der Fortführung einer Reihe oder eines erzählerischen Konzeptes nahe. Ganz wie der Vorgänger setzt das Taxigeschichten-Buch auf knappe Szenen zwischen zwei und fünf Seiten Länge, deren Ursprung in dem Zusammentreffen von gesellschaftlicher Normalerwartung und wahnwitzigen Einzelprotagonisten liegt. Durchgängig im Modus der Ich-Erzählung werden in sich abgeschlossene Miniaturen des real existierenden Irrsinns der menschlichen Spezies gezeichnet.
Das Taxifahren bedeutet aus Sicht Hannemanns, der selbst mehr als 15 Jahre in dem Gewerbe tätig war, weniger einen Beruf, als vielmehr eine Lebensphilosophie. Das Taxi wird zum Lebensraum und zur Bühne der Figuren. Wenn Fahrer und Fahrgast aufeinander treffen, überlagern sich, wie im richtigen Leben, häufig eine geschäftliche Ebene und diejenige der menschlichen Begegnung. An deren Reibungspunkt werden die Sollbruchstellen des Sozialen anekdotisch verortet. Die Erlebniswelt Taxi wird zum bidirektionalen Transitraum. Dieser stellt zum einen ein in sich ruhendes System dar, dessen Ordnung durch die skurrilen Fahrgäste arg unter Druck gerät. Zum anderen verkörpert das Taxi auch eine Kapsel, die sich als irritierender Fremdkörper durch das System der öffentlichen Ordnung bewegt.
Aus dieser textuellen Struktur werden die alternierenden Rollen des Ich-Erzählers abgeleitet. Entweder tritt dieser als passiv-resigniertes Objekt der wahnwitzigen Aktionen der Fahrgäste auf den Plan. Oder aber er selbst stiftet Verwirrung im öffentlichen Koordinatensystem durch Verhaltensweisen, die im Leben eines Taxifahrers Sinn ergeben, jedoch Otto Normalverbraucher als Irrsinn erscheinen. Die Kollision der Erwartung an eine geordnete Welt, die sich stets im Spannungsfeld von Naivität und Borniertheit bewegt, mit den Abgründen des Realen bestimmt die Komik Hannemanns. Aus den moralischen Impulsen, die die Texte Hannemanns stets motivieren, erwächst in seinen guten Stücken seine größte Stärke.
Bei all dem Schmutz und Wahnsinn in der Welt des Ich-Erzählers wird eines deutlich: dessen konservative und katholische Moral. Das menschliche Handeln führt letztlich stets in einen einzigen Schuldzusammenhang, der sich hinter dem Vorhang der guten Laune oder Gesittetheit doch stets nur unzureichend verbirgt. Diesen Vorhang beizeiten lüften zu können, ist die Stärke dieser Pop-Prosa. Nicht zufällig gefallen die Stücke, die sich thematisch der öffentlich inszenierten Selbstzufriedenheit und moralischen Wertigkeit der Gesellschaft widmen. Denn die Subjekte sind existentiell stets hinfällig und in einem Habitus der Lächerlichkeit befangen.
Leider gleiten die Texte jedoch allzu oft ins Belanglose persönlicher Skurrilitäten ab; wo es keinen negativen Kontextbezug gibt, wird der Plot ex machina aufgeblasen und überschreitet einzig eine völlig sinnentleerte Konventionalität, wodurch weder erzählerische Traditionen travestiert, noch greifbare Doppelmoralen überführt werden. Das Problem an „Neulich im Taxi“ ist der großenteils fehlende Witz, der durch Witzigkeit kompensiert werden soll. Wenn die Ausnahme zur Regel gemacht wird, das Bescheuerte als Movens der Texte zum Selbstzweck, hält die Pop-Prosa selbst Einzug in den verlogenen bürgerlichen Text- und Rezeptionszusammenhang, in dessen Travestie ihre möglichen Verdienste lägen.
So erkennt man an vielen Stellen den heimlichen Souffleur der Pointen: Leider wirken die Texte allzu oft auf die Erwartungen eines Publikums hin kalkuliert, das gerne weiß, was es erwartet und dankbar goutiert, wofür es bezahlt. Dies ist umso bedauerlicher, weil Uli Hannemann zweifelsfrei Talent besitzt und über eine genügend neurotische Phantasie verfügt, um immer mal wieder gute böse Texte zu schreiben. Zum Vorgänger stellt „Neulich im Taxi“ keine nennenswerte Weiterentwicklung für den Autor dar. Hier wie dort gibt es viele nette und auch kurzweilige Geschichten auf überschaubarem schriftstellerischem Niveau. Das wäre alles schnell abzutun, wenn nicht immer wieder das Potential Hannemanns durchblickte.
Der Entschluss, stets neue Pointen aus unverändertem Kontext zu zaubern, verrät nicht nur seine Herkunft als populärer Lesebühnenautor. Er wirkt leider auch hinderlich. Statt der Kalkulation auf typenkomödiantische Konfektionsgags nach Schema F im Stakkatotempo, wäre es zu wünschen, dass der Autor sich mehr Zeit nähme, um ein Thema in seinen Abgründen zu durchdringen. Ein Roman! Das wird bei aller figurativen Ich-Bezogenheit wohl nicht an Bukowski heranreichen, ich würde es aber gern lesen. Also Herr Hannemann: Lassen Sie sich Zeit! Begreifen sie ihre Literatur nicht als Handicapmatch nach dem Motto: Eine Konstellation, möglichst viele witzige Geschichten! Statt im nächsten Jahr mit „Neulich auf dem Klo“ oder „Neulich hinterm Mond“ nachzulegen, entfalten sie sich mal ganz frei. Bitte keine Fakten und nicht an die Leser denken!
Literaturangabe:
HANNEMANN, ULI: Neulich im Taxi. Notizen vom zweitältesten Gewerbe der Welt. Ullstein, Berlin 2009. 208 S., 8,95 €.