Die Rolle des Schriftstellers im Berlin-Diskurs der Weimarer Republik und dessen sozialistische Vision für die moderne Großstadt.
Am 10. August 1878 wurde Alfred Döblin als viertes Kind des Schneidermeisters Max Döblin und dessen Frau Sophia in Stettin geboren. Jener Alfred Döblin wurde in der Weimarer Republik einer der wichtigsten Vertreter der Berliner Kultur. In der „Streitfrage Berlin“ bekannte er sich zur großstädtischen Lebensweise und erlangte mit seinem Roman Berlin Alexanderplatz Weltruhm. Doch in den Augen vieler Zeitgenossen blieb Döblin ein „Gossenliterat“ und Exponent einer fatalen „Kulturwende“, an deren Ende nichts weniger zu drohen schien als die Apokalypse des Okzidents.
Die Berlin-Debatte gestern und heute
„Be Berlin“ – so lautet der wenig bescheidene Slogan der gleichnamigen Imagekampagne, die der Berliner Senat 2008 ins Leben rief. Im Rahmen des Illuminationsspektakels Festival of Lights wird diese Losung in verschiedenen Farben und in den diversen Interpretationen seiner Einwohner oder Freunde an das nächtliche Brandenburger Tor projiziert. Der kategorische „Berlin“-Imperativ liest sich beispielsweise „sei magisch, sei überraschend, sei berlin“.
„Du bist das KaDeWe, du bist der Wittenbergplatz“ ist keine weitere Konkretisierung des Kampagnenwahlspruchs – diese Worte schrieb Alfred Döblin 1933 in seinem naturphilosophischen Werk Unser Dasein. Was auf den ersten Blick wie eine verblüffende geistige Zeitgenossenschaft über die trennenden Jahrzehnte anmutet, erweist sich unter einem Blick auf die Berlin – Debatte der 1920er Jahre und den Beitrag Alfred Döblins als unter gänzlich anderen Vorzeichen stehend.
In unseren Tagen stimmt nahezu jedes Medium in das Hohelied der gelobten Stadt Berlin ein. Von der vereinzelten Berichterstattung über soziale Brennpunkte abgesehen wird ein regelrechter Hype um die deutsche Hauptstadt befeuert. „Berlin“ ist zu einem Markenzeichen geworden. Die Stadt soll als kulturelles Laboratorium den Weg in die Zukunft der Gesellschaft weisen und wird zu einem Eldorado junger Menschen auf der Suche nach Selbsterfüllung und neuen Lebenswegen stilisiert. Berlin ist der Inbegriff des Glücksrittertums für die Generation der Nachwende geworden. Doch diese ungeteilte feuilletonistische Vorliebe für Berlin ist ein sehr junges Phänomen.
Alfred Döblin’s Berlin-Utopie
In den 1920er Jahren der ersten deutschen Republik zeichnete die öffentliche Debatte ein äußerst kritisches Bild von Berlin. Die Äußerung Alfred Döblins zur Einheit des Menschen mit seiner großstädtischen Lebenswelt – „du bis der Wittenbergplatz“ – ist in diesem historischen Zusammenhang zu verstehen. Döblin sah in Berlin die Idee eines kollektiven Subjekts, einer neuen sozialen Vision angelegt. Seine naturphilosophische Vorstellung der untrennbaren Dualität von menschlichem Geist und geschaffener Lebenswelt äußerte er in der Sprache des futuristischen Expressionismus.
Döblins Idee des Fortschritts beinhaltete eine neue Sozialität, die er beispielhaft in der Architektur des „Neuen Bauens“ eines Martin Wagner verwirklicht sah, als Ziel und Ausdruck urbanen Lebens. Der in Lichtenberg niedergelassene Arzt betrachtete sein zeitgenössisches Berlin als eine Stadt im Um- und Aufbruch, die der Ausdruck des neuen sachlichen Zeitalters werden könne. Der technische Fortschritt würde neue Anforderungen an den Menschen und die Formen seines Zusammenlebens stellen, deren funktionale Ausprägung sich im Bild der Stadt als das organische Wachsen kollektiver Strukturen zeigen sollte. Döblins Argumente für die urbanen Lebensformen brachten ihm von Seiten seiner Zeitgenossen heftigen Widerstand ein. Die Berlin-Debatte der Weimarer Republik offenbarte eine tiefe Ablehnung des Großstädtischen allgemein und Berlins im Besonderen.