Als Prokrastination wird eine aufschiebende Störung des Arbeitsablaufs bezeichnet. In ihrer chronischen Form kann sich diese zur Depression entwickeln.
Unliebsame Termine und Aufgaben warten auf jeden von uns. Doch während manche ihre To – Do -Liste zielgerichtet abhaken, reißen einige Zeitgenossen immer wieder die terminlichen Hürden. Was früher häufig als Schludrigkeit abgetan wurde, wird heute als psychische Störung unter dem Namen Prokrastination untersucht.
Wer kennt das nicht: Für die Steuererklärung hat sich einfach noch keine Zeit gefunden, schließlich musste die Plattensammlung alphabetisch sortiert werden. Eine Woche Vorbereitungszeit für die Präsentation sind auf zwei Tage zusammengeschmolzen, doch ohne Druck will sich ohnehin keine Inspiration einstellen. Die Liste solcher Begründungen oder Ausreden für verpasste Termine ließe sich beliebig verlängern. In Einzelfällen hat nahezu jeder bereits gegenüber dem Ruf der Pflicht die Ohren verschlossen und Fristen durch – meist gut begründetes – Nichtstun verstreichen lassen. Bleibt das Verbummeln die Ausnahme von der Regel besteht noch kein Grund zur Sorge. Liegt der erwartete Lohn für unsere Mühen weit in der Zukunft, ist das Hinwenden zu angenehmeren Tätigkeiten ein natürlicher Impuls. Aufschiebendes Verhalten wird dann zu einem Problem, wenn es regelmäßig auftritt und die Konfrontation mit notwendigen oder unangenehmen Aufgaben mit Leidensdruck verbunden ist. In diesem Fall sprechen Psychologen bei den Betroffenen von einer manifesten Arbeitsstörung, im Fachjargon chronische Prokrastination (von lat.: pro = für; cras = morgen) genannt.
Prokrastination aus Sicht der Psychologie
Der Psychologe Joe Ferrari stellte 2005 eine internationale Studie vor, die den Anteil chronischer Prokrastinatoren an der Gesamtbevölkerung auf 20% bezifferte.
Zwei Typen chronischer Prokrastination werden unterschieden: Als Erregungsaufschieber werden Menschen bezeichnet, die das Gefühl haben nur unter zeitlichem Druck effektiv und inspiriert arbeiten zu können. Insbesondere in intellektuellen Arbeitsmilieus ranken sich um diesen Typus regelrechte Mythen. Wer an der Uni seine Seminararbeit nach drei durchgearbeiteten Nächten auf den letzten Drücker einreicht, gilt als geniale Künstlernatur und überschätzt zudem meist im Adrenalinrausch der Stresssituation die eigene Leistung. Dabei zeigen Untersuchungen deutlich, dass geplantes und sorgfältig entwickeltes Arbeiten zu besseren Resultaten führt.
Der sogenannte Vermeidungsaufschieber fürchtet sich vor möglichen Negativresultaten seiner Arbeit derart, dass ihm sein verzögerter Arbeitsbeginn als psychischer Selbstschutz dient. Das schlechte Ergebnis seiner Anstrengungen hing schließlich an der knappen Zeit, nicht an mangelnden Fähigkeiten. Und wenn es trotz der widrigen Umstände gut lief, wertet dies das eigene Potential natürlich auf.
Die Folgen chronischer Prokrastination
Jeder Fünfte leidet demzufolge unter subjektivem Zeitmangel. Chronischer Prokrastination läßt sich nicht durch Fleißermahnungen beikommen. Die Organisation von Arbeitsprozessen steht in Wechselbeziehung zum Sinnverständnis des eigenen Handelns. Die Betroffenen geraten durch ihr aufschiebendes Verhalten in einen Teufelskreis: Sie wiegen unbewußt die Unlust an der geforderten Handlung gegen die unangenehmen Konsequenzen ihrer Zögerlichkeit ab. Entspringt die Handlung aus der aufgestauten Angst vor den Konsequenzen des weiteren Aufschiebens, kann sich keine Eigenmotivation entwickeln. Zudem wird durch den Zeitdruck die Bewältigung der jeweiligen Aufgabe tatsächlich immer unangenehmer.
Wer an Prokrastination leidet entwickelt über seine Arbeitsweise ein negatives Verhältnis zu seinem Selbst und seiner Zeit. Unter dem Druck des Aufschiebens verwandeln sich mögliche Ziele in belastende Pflichtübungen. Ohnmachtsgefühle und ein schwindendes Bewusstsein der selbstgewählten und gestalteten Lebensführung sind die Konsequenzen. Schwere chronische Prokrastination kann sich auf diese Weise bis zur Depression auswachsen. In solchen Fällen raten Experten zu einer Verhaltenstherapie.
Praktische Tipps für die Arbeitsorganisation
Für die gemäßigten „Aufschieber“ gilt daher:
– Zeiträume realistisch planen, d.h. einzelne Arbeitsschritte großzügig kalkulieren
– Pünktlich anfangen; wenn es mit dem Anfang nicht klappt in der Mitte beginnen
– Kleinschrittige Organisation des Arbeitsprozesses; auf diese Weise gewinnt man Übersicht über den Gesamtfortschritt und erarbeitet sich häufige positive Verstärkung
– Intensive aber knappe Arbeitsphasen ohne Ablenkung ansetzen, dies schärft das Bewusstsein für Zeit als Handlungsressource
Für Diejenigen, die beim Lesen den Prokrastinator in sich entdeckt haben noch eine gute Nachricht zum Schluss: 2005 erschien im Journal of Social Psychology eine Studie (www.highbeam.com/doc/1G1-133458034.html), die einen positiven Effekt der Prokrastination feststellte: Menschen mit leichtem Prokrastinationsverhalten sind demnach eher in der Lage umzudisponieren und sich auf wechselnde Prioritäten einlassen zu können, falls es die Situation erfordert. Daher gilt: Das gute alte „Carpe Diem“ muss begleitet werden von dem Wissen, was erstmal warten kann. Dann aber bitte nicht die Frage vergessen, wie lange wohl noch.