Nicht erst seit der enttäuschenden 0:1-Heimniederlage gegen den derzeit alles andere als unbezwingbar scheinenden Bundesliga-Veteranen Hamburger SV herrscht trübe Stimmung beim VfL Wolfsburg. In Schockstarre scheinen Mannschaft und Verein durch die Liga zu taumeln, Fassungs- und Mutlosigkeit allenthalben in einem Team, das weitgehend mit der Meistermannschaft, dem Magath’schen Meisterwerk, identisch ist.
Das Ende der Ära Steve McClaren – zurück in die Zukunft?
Am 7. Februar endete in Wolfsburg die „Ära“ des Steve McClaren. Das sportliche Aus des ersten britischen Trainers in der Fußballbundesliga bedeutete zugleich das Ende eines großen Missverständnisses. Welches, wie man den Äußerungen beider Seiten entnehmen kann, wohl wechselseitig bestand. McClaren gab zu, große Schwierigkeiten mit der Machtfülle des Managers Dieter Hoeneß gehabt zu haben. Der Geschäftsführer, bekannt für seinen raumgreifenden Führungsstil, habe darauf bestanden, den Mannschaftssitzungen beizuwohnen und sei regelmäßig zu Halbzeitansprachen in der Kabine, dem innersten Kreis von Trainer und Mannschaft, erschienen.
Ratlosigkeit bleibt nach der Demission des menschlich geschätzten Coaches zurück. Wenn sich der Verein zur Trennung vom notorisch erfolglosen Briten (5 Siege in 21 Spielen) nach dem 21. Spieltag und somit nach dem vierten Spieltag der Rückserie entschloss, warum ließ man den ehemaligen Nationaltrainer Englands die Vorbereitung auf die Rückrunde gestalten und bei der Verpflichtung der Winterneuzugänge mitentscheiden? Eine Frage, die die Geschäftsführung um Dieter Hoeneß zu beantworten hat. McClaren war der Wunschkandidat von Hoeneß. Doch dies allein rechtfertigt nicht das Festhalten an einem Trainer, dem es während der Hinserie zu keinem Zeitpunkt gelang, ein Konzept für die erfolglos dahindümpelnde Mannschaft zu entwickeln. Und der durch das beständige Vorpreschen von Hoeneß vor der Mannschaft und der Öffentlichkeit schleichend dementiert wurde.
Ursachen der Wolfsburger Krise – Versäumnisse der Vergangenheit
Die Krise des VfL Wolfsburg offenbart sich als massive Führungskrise des Vereins auf allen Ebenen. Sportlich sichtbarer Exponent ist die Mannschaft. Dieses Team, welches durch den Projektarbeiter mit der Lizenz zum Kaufen Felix Magath innerhalb kürzester Zeit neu zusammengestellt wurde und zur Meistermannschaft geformt wurde, entpuppt sich im Moment der Krise als inhomogenes und strukturell sehr fragiles Gebilde. Unter der harten Hand von „Quälix“ Magath fand sich eine Interessensgemeinschaft an Spielern zusammen, die die einmalige Gelegenheit zum großen Wurf erkannte und die nur einen Leitwolf kannte: eben Felix Magath, der ungeteilt über die Mannschaft herrschte.
Die fehlende Hierarchie und aufkommende Bequemlichkeiten innerhalb des Teams konnte schon McClarens Vorgänger Armin Veh nur unzureichend überdecken. Als dann Neutrainer McClaren ohne Not mit Zvjezdan Misimovic eine der wenigen sportlichen Leitfiguren und zudem einen der besten Spielgestalter der Liga demontierte, zeigte sich die doppelte Misere des VfL Wolfsburg: Das Team benötigte nach der Meisterschaft eine Erneuerung, lebte allerdings offensiv noch immer vom magischen Dreieck (Spielmacher Misimovic und Sturmduo Edin Dzeko – Grafite).
Anscheinend ohne Ansehung seines Spielermaterials installierte McClaren sein bevorzugtes Spielsystem mit offensiven Außenspielern im Mittelfeld. Nachdem dieses System nicht griff und vom Team nicht angenommen wurde, wurde mit dem Ex-Bremer Diego ein kostenintensiver neuer Spielgestalter verpflichtet, der allerdings als fast hängender Stürmer nicht an seine einstige Form anknüpfen konnte. Schließlich ruderte McClaren mit ebenfalls mäßigem Erfolg zurück und kehrte zum Meistersystem mit zwei echten Stürmern zurück. Neben dem Schlingerkurs in Sachen Spielsystem wurde die Hierarchie der Mannschaft endgültig auseinandergenommen. Kapitän Josue, ohnehin eher Vorbild als wirklicher Anführer, wurde zu Saisonbeginn abgesetzt und der schwer wechselwillige Stürmerstar Dzeko zum Kapitän ernannt. Eine populisitsche Maßnahme und hilflose Geste, die mit dem schließlich in der Winterpause vollzogenen Verkauf des Spielers ad Absurdum geführt wurde.
Pierre Littbarski als Notnagel – Manager Hoeneß in der Kritik
Diesen Fehlentwicklungen nicht entschlossen entgegengewirkt zu haben ist der Vorwurf an Manager Hoeneß. Ohne die Autorität des Trainers praktisch zu stützen, hielt dieser an McClaren fest. Selbst als erschreckende Mannschaftsinterna nach Außen drangen, die die fachlichen Qualitäten und die Akzeptanz des Briten zumindest in ein fragliches Licht rückten. Kolportiert wurden Spielbesprechungen, bei denen einzelne Spieler dem Trainer an der Taktiktafel die Analyse abnahmen und diesen strategisch belehrt haben sollen.
Nachdem die Chance zum harten Schnitt in der Winterpause verpasst war und dem schon aus Premier League-Zeiten bekannten Ruf McClarens nach Verstärkungen nachgegeben war, wurde dieser entlassen und so einem neuen Coach die Gelegenheit zu wichtigen Weichenstellungen genommen. In dieses Bild eines zaudernden Schlingerkurses in der sportlichen Führung passt die halbherzig wirkende Inthronisierung des bisherigen Co-Trainers Piere Littbarskis bei gleichzeitiger Verhandlung mit anderen „großen“ Lösungen.
Der Effekt Pierre Littbarski ist, soviel scheint bereits nach einem Spiel als Cheftrainer klar, ausgeblieben. Nachdem ihm Dieter Hoeneß überraschend seinen alten Weggefährten Eyjólfur Sverrisson als Co-Trainer an die Seite gestellet hatte, wirkte „Litti“ vor seiner Premiere unsicher und wenig zuversichtlich. Er verkündete, den Spielern das vordem übliche „Du“ verboten zu haben, ließ die Spieler in Magath-Manier Kondition bolzen, kehrte erneut zum System mit zwei Stürmern zurück und suspendierte die eigensinnige Spielmacher-Diva Diego, dessen Befehlsverweigerung am 20. Spieltag als finale Demontage McClarens angesehen werden kann. Nach der 0:1-Niederlage gegen den HSV gestand Littbarski, der Mannschaft habe „ein Schuss Genialität gefehlt“ und baute so ausgrechnet den suspendierten Diego zum Hoffnungsträger der nächsten Wochen im Abstiegskampf auf. Einen Spieler, der als egozentrisch, launisch und ebenso hochveranlagt gilt, allerdings in Wolfsburg seiner Form vergangener Tage hinterher läuft. Ein Sinnbild der Situation.
Vor dem Spiel hatte Littbarski in einer wenig Zuversicht weckenden Pressekonferenz gebeten, man sollte die bis jetzt geleistete Arbeit nicht zu erwartungsvoll bewerten. Was der Neu-Trainer damit gemeint haben könnte bleibt unklar, die Erwartungshaltung der Zuschauer nimmt allerdings brisante Formen an. Im Stadion hallten „Hoeneß raus!“-Rufe. Auf die Werkself kommen harte Wochen zu.